Dezember 3, 2024

Temudschins Aufstieg zum Dschingis Khan und Herrscher der mongolischen Steppe (ca. 1180 – 1206)


Temudschin arbeitete in den folgenden Jahren ehrgeizig auf sein Ziel hin – er wollte das Erbe seines Vaters antreten. So floh er mit seinem kleinen Ulus an die Ränder der mongolischen Steppe, welche östlich vom Baikalsee lag. In seinem Lager nahm er alle unzufriedenen und hungrigen jungen Krieger auf, die sich ihm verdingen wollten. Er versprach Raubzüge und bewies zum ersten Mal, daß er zwar ein guter Militär, vor allem aber ein geschickter Diplomat war. Er wußte, wie er die gierigen und wilden Mongolen anzupacken hatte. Unter ihm erhielten sie alle Freiheiten, wenn sie ihm dafür ihre absolute Loyalität gaben.
Zuerst mußte er allerdings eine andere Angelegenheit erledigen: Er ritt zusammen mit Belgutei zu Dei Setchen und bat um seine Braut. Als Brautgeschenk erhielt er einen Zobelpelz für seine Mutter und, was ihm sicherlich wichtiger war, die Hand Bürtes. Temudschin hatte ein offensichtlich sehr enges Verhältnis zu Frauen, auch wenn er sich von diesen wohl kaum Vorschriften machen lies. Allerdings wußte er den Rat seiner Mutter und auch den der klugen Bürte sehr wohl zu schätzen. So wahrte in seinen jungen Jahren die Mutter seinen Thronanspruch, während Bürte sein Ulus führte, wenn Temudschin auf Kriegszügen war. Man darf sehr wohl davon ausgehen, daß Temudschin ein vertrautes Verhältnis zu seinen Hauptfrauen hatte, welches vielleicht sogar Liebe beinhaltete.
Nach erfolgter Brautwerbung wurde Temudschin bei Togril-Khan von den Kereit vorstellig. Dieser führte einen der mächtigsten Stammesverbände der Steppe und war der Schutzpatron und Schwurbruder Yesügeis gewesen. Temudschin bat ihn darum, diese Freundschaft mit dem Sohn zu erneuern und gab dem alternden Häuptling den Zobelpelz zum Geschenk. Togril war sowohl davon als auch von dem jungen Mann beeindruckt und gewährte dessen Anliegen. In den folgenden Jahren half er ihm dabei, sein verstreutes Volk zu finden und zu einen.
Da auf Höhen immer wieder Tiefen folgen, blieben Temudschin schmerzhafte Rückschläge nicht erspart, denn die Merkiten hatten den Raub Hoeluns nie vergessen. Nur wenige Wochen nach der Hochzeit mit Bürte fielen die mächtigen Merkiten über das kleine Ulus Temudschins her. Dieser floh mit seinen Gefolgsleuten – für Bürte blieb allerdings kein Pferd übrig. Sie legte denselben Realismus an den Tag, wie vormals Hoelun: Bürte riet ihrem Gemahl zur Flucht, denn ihn würden die Merkiten gnadenlos töten, sie jedoch nicht. So fiel sie dann auch in die Hände der Merkit, obwohl eine alte Dienerin sie zu verbergen suchte.
Temudschin floh erneut ins Gebirge, namentlich auf den Berg Burhan Chaldun, den er in späteren Jahren immer verehrte, da ihm der Berg eine Zuflucht vor dem sicheren Untergang gewährt hatte. Bürte aber wurde einem Merkit zur Frau gegeben. Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein: Zwar lebte Tschiledu, dem Yesügei einst die Frau gemopst hatte, nicht mehr, aber für Ersatz war rasch gesorgt. Tschilger-Boko, ein Bruder Tschiledus, führte Bürte in seine Jurte.
Temudschin muß getobt haben und sann auf Rache. Dennoch ging er vorsichtig und klug vor, denn er wußte, daß die Kräfte seines eigenen Ulus nicht dazu ausreichten, um die geraubte Braut zu befreien. Sein Aufruf  zur Befreiung der selbigen brachte allerdings viele junge Mongolen in sein Lager, welche an der ehrenvollen Tat teilhaben wollten. So ließ sich Temudschin fast ein Jahr Zeit, bis er den Merkit den Federhandschuh zuwarf. Zusätzlich hatte er sich die Unterstützung Togruls und seiner Kereiten gesichert, ebenso wie die seines Andas Dschammuchas, welcher mittlerweile selber ein mächtiger Häuptling war. So fielen die Mongolen und Kereiten mit 40.000 (in der Mehrzahl von den Verbündeten Temudschins gestellt) Mann über die Merkit her. Ihr Sieg war vollständig. Die Merkit wurden erschlagen und ihr Blut tränkte das eigene Land. Vor allem jene, die Temudschin damals bis zu seinem Zufluchtsberg verfolgt hatten, ließ er gnadenlos „ausrotten“ – und in diesem Zusammenhang ist das wortwörtlich zu verstehen.
Bürte wurde befreit und gebar bald darauf einen gesunden Sohn. Obwohl Temudschin theoretisch noch der Vater sein könnte, ist dies wohl unwahrscheinlich. So wurde das kleine Kind denn auch auf den Namen Dschotschi getauft, was soviel bedeutet wie „Gast“. Es herrschten immer Zweifel an der Abkunft des Kindes – nur Temudschin wurde nicht müde, diese zu zerstreuen. Er erkannte Dschotschi als seinen ältesten Sohn an, betraute ihn später gleichberechtigt mit den anderen Söhnen, die ihm Bürte gebar, mit ehrenvollen und wichtigen Kommandos. Temudschin behandelte alle seine Söhne gleich – ein Punkt, der sicherlich für Temudschin spricht.
Nach dem glanzvollen Sieg trennten sich Temudschin und sein Blutsbruder Dschammucha vorläufig nicht. Gemeinsam besuchten sie mit ihren Ordus (Lagern) die saftigen Weidegründe. Dschammucha war Temudschins Anda und von daher hatten sie sich ewige Freundschaft und Treue versprochen. Aber sie waren beide zu ehrgeizig, um nicht irgendwann erkennen zu müssen, daß Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklafften. Zwar kam es zu keiner offenen Auseinandersetzung, aber Temudschin konfrontierte seinen Anda immer öfter mit Träumen und Visionen, nach denen er die Mongolen unter seinem Banner vereinen würde. Nach eineinhalb Jahren schließlich setzte sich Temudschin heimlich mit seinem Lager von Dschammucha ab, indem er zuerst zurückblieb und dann in eine andere Richtung zog. Die nächsten Zusammentreffen mit seinem Anda würden weniger friedlich verlaufen.
Temudschins Ulus erhielt nun regen Zulauf. Auch viele Gefolgsleute Dschammuchas, welcher über das größere Lager geboten hatte, liefen nun zu Temudschin über. So zum Beispiel Quotschi, der dem Khan seinen Übertritt erklärte, indem er behauptete, er habe Zeichen gesehen, die Temudschin zum Herrscher der Steppe bestimmten. Für seine Prophezeiung verlangte er eine Belohnung – später würde er dreißig der schönsten gefangenen Frauen erhalten und Herr über 10.000 Krieger sein.
Temudschin war ein geschickter Anführer und den Ansprüchen seiner Männer gegenüber sehr sensibel. Als sein Ulus noch sehr klein war, kam ein junger Mann zu ihm, welcher um Hilfe bat, da seine Pferde von Räubern gestohlen worden waren. Ohne zu zögern, brach Temudschin auf und vernichtete die Räuber. Anstatt die ihm angebotene Belohnung anzunehmen, lehnte er sie ab und erhielt dafür die treue Gefolgschaft des jungen Mannes, Bortschu (?), der einer der besten Generäle Temudschins werden sollte. So behandelte er alle Mitglieder seinen Ulus äußerst zuvorkommend und überließ ihnen einen Großteil der Beute. Außerdem gab er nicht viel um adelige Verbindungen, sondern bevorzugte Männer mit angeborenen Talenten, wie zum Beispiel Jelme und seinen jüngeren Bruder Subutai, zwei Steppenkrieger, die später Armeen in den Krieg führen würden.
Auch weitere Nachfahren Kabul Khans (zu denen Dschammucha übrigens nicht zählte) fanden sich in Temudschins Lager ein. Sie alle hatten nach dem überlieferten Erbfolgerecht der Mongolen einen Führungsanspruch über das gesamte Volk. Temudschin bewies nun, daß er kein gewöhnlicher Nomadenbarbar war, denn um die Anführerschaft zu erlangen, ging er geschickt, ja nahezu subtil vor. Auf einem einberufenen Kuriltai, also einer Heeresversammlung der Anführer, setzte er die Wahl eines Anführers an, allerdings ohne sich selbst zur Wahl zu stellen. Die Ahnen Kabul-Khans, deren Familien schon länger als Yesügei und Temudschin um die Anführerschaft der Mongolen stritten, waren so zerstritten und von Neid erfüllt, daß sie keinen der ihren zum Anführer wählen mochten. Wer blieb also übrig? Schnell einigten sich die ebenso ehrgeizigen wie untalentierten Adelssprosse auf den jungen Temudschin, den sie leicht zu kontrollieren können glaubten. So trugen sie ihm das Khanat an, welches dieser „überrascht“ annahm und dazu den Beinahmen „Dschingis“ erhielt, was soviel wie „ozeangleich“ bedeutet. Bei der sprühenden Intelligenz, die man Temudschin oft unterstellen kann, scheint es auch hier unwahrscheinlich, daß er mit dieser Wahl nicht gerechnet hatte.
13 Lager und 30.000 Krieger dienten nun unter Dschingis Khan, mittlerweile nicht ganz dreissig Jahre alt. Er organisierte sein Ulus recht streng und führte als wichtige Neuerung die Meldereiter ein. Diese übermittelten auf dem schnellsten Wege Nachrichten und Botschaften zwischen den Lagern, was die schwierige Kommunikation sehr erleichterte. Neben den adeligen Würdenträgern betraute Temudschin vor allem die alten Freunde mit wichtigen Kommandos über Tausendschaften: Bortschu, Jelme, Subutai. Während der Stern der adeligen Nachfahren Kabul-Khans sinken würde, stützte sich der Khan mehr und mehr auf diese Gefährten, ebenso wie auf seinen Halbbruder Belgutei und seine Brüder, allen voran Khassar.
Nun aber sah sich Dschammucha zum Handeln gezwungen. Zu lange schon liefen seine Leute in das Lager des charismatischeren Temudschins über, welcher diese Entwicklung herzhaft förderte. Dschammucha rief alle seine Krieger zusammen und griff Temudschin überraschend an. Da dieser noch rechtzeitig gewarnt wurde, konnte er sein Heer von 30.000 Mann mobilisieren, womit er gleich stark wie Dschammucha war. Ob nun aufgrund der mangelnden Vorbereitungsphase oder weil Dschammucha militärisch ebenso talentiert war wie sein Anda sei dahingestellt – jedenfalls erhielten Temudschin und die Seinen ein blutige Nase; Dschingis Khan mußte mit den Resten seiner Armee fliehen.
In den folgenden Jahren baute Temudschin seine Kräfte vorsichtig wieder auf. Bei seiner Flucht vor Dschammucha scheint er auch nach China gekommen zu sein, wo die Kin seit einem Jahrhundert herrschten, Er muß als Nomade beeindruckt von dem unglaublichen Reichtum, Kultur und größe der Städte gewesen sein. Der intelligente Herrscher scheint sich positives gemerkt zu haben, ebenso wie die Schwächen, denn er wird schon jetzt den Plan gefaßt haben, einstmals hierher zurückzukehren. Während seiner Abwesenheit scheint übrigens Bürte sein Ulus geführt zu haben.
Erst Jahre später taucht Dschingis Khan wieder auf, allerdings fast wieder mit alter Stärke. Die Kin waren ihrer Verbündeten, den Tataren, überdrüssig geworden. Man hatte sich ihrer bedient, um die Grenzvölker der mongolischen Steppe in Zaum zu halten oder Zwietracht unter ihnen zu sähen. Die Tataren waren allerdings keine reine Freude für die Kin, denn wenn sich keine andere Beute bot, hatten diese gelegentlich die unangenehme Eigenschaft, in das Stammland ihrer Verbündeten einzufallen. So muß es auch in den neunziger Jahren des 13. Jahrhunderts geschehen sein und so vertrieb eine chinesische Strafexpedition der Kin die Tatarenhorden. Als diese durch die Wüste Gobi flohen, wurden sie allerdings von kaum freundlicheren Gesellen erwartet: der Kereit Togrul und Dschingis Khan machten kurzen Prozess mit den Tataren und sackten deren Beute aus den chinesischen Ländereien ein.
Die Kin waren über die Vernichtung des lästigen Verbündeten durchaus begeistert und ernannten Togrul zum Wang-Khan (da sie in ihm wahrscheinlich einen adäquaten Ersatz für die Tataren sahen) und Dschingis Khan, den sie als Vasall Togruls ansahen (was der Wahrheit tatsächlich nahe kam), zum Dschautquiri, was ihm die erste Erwähnung in der chinesischen Geschichtsschreibung einbrachte.
Temudschin ging nun rabiat und rücksichtslos daran, sich unliebsame Verwandschaft und Konkurenz im eigenen Lager vom Hals zu schaffen. So wurden die beiden Häuptlinge der Dschurkin, von denen einige Männer in das mongolische Lager eingefallen waren und zehn Mann getötet hatten, Satscha-Beki und Taitschu, hingerichtet, obwohl sie an dem Überfall nicht beteiligt gewesen waren. Auch Buri-Bökö, ein Vetter Yesügeis fiel dem Khan zum Opfer, da auch er Ansprüche auf das Khanat geltend machen konnte.
Um 1200 waren es also Temudschin, Togrul und Dschammucha die um die Vorherrschaft in der Steppe rangen. Dabei sah Dschammucha am besten aus. 1201 brachte er ein Bündnis zwischen seinen Dschardarat, den Naiman, Merkit, Oirat und sogar den übriggeblieben Tataren zustande. Dennoch setzten etliche Stämme auf den talentierten Temudschin. Dieser allerdings offenbarte immer wieder neue Seiten seines eigenartigen Charakters. Ein Volk, welches seinen Anführer auslieferte und somit seinen Lehenseid brach, wurde von ihm folgendermaßen belohnt: er vernichtete es. Auch später bestrafte er Verrat, selbst wenn er ihm gelegen kam, schnell und hart.
Nun waren die Taichuten reif für eine Strafexpedition, schließlich hatten sie Temudschins Vater verraten und ihn selbst in ein Joch geknechtet. In der Schlacht verwundete ein junger Taichut namens Dschebe mit einem Pfeilschuß Temudschin, den er in den Hals traf. Temudschin, nur knapp dem Tode entronnen, nahm den jungen Mann, welcher die Tat nicht leugnete, sondern stolz auf seine Leistung war, in seinen Dienst auf. Auch er wurde später ein großer mongolischer General. Die Taichut aber wurden inklusive der Frauen und Kinder ausgerottet. Sorkan-Shira, welcher dem jungen Temudschin damals zur Flucht verholfen hatte, wurde mit seinem Stamm verschont und bei Dschingis Khan aufgenommen. 1202 rechnete der Khan endgültig mit den Tataren ab. Er brach in ihr Stammland ein und schlug sie in einer Entscheidungsschlacht. Dabei kam es ihm auf die völlige Vernichtung seiner Gegner an (die schließlich seinen Vater feige ermordet hatten), weshalb er ein Gebot der Steppe aufhob: anstatt das eroberte Gebiet zu plündern und sich an den im Lager zurückgelassenen Frauen zu erfeuen, sollten die Armeen die Tataren verfolgen.
Drei adelige Häuptlinge mißachteten den ausdrücklichen Befehl und rafften Beute an sich. Dschebe, ein einfacher Nomade, wurde beauftragt, den Adeligen die eingefangenen Herden wieder abzunehmen, ebenso wie sämtliche andere Beute. Im Angesicht des übermächtigen Heeres des Khans ließen sich die Anführer diese ehrenrührige Behandlung zwar gefallen, vergessen würden sie sie aber nicht. Bei der nächsten Gelegenheit dersertierten sie.
Die Tataren aber bekamen Temudschins Zorn zu spüren. Obwohl er zwei Töchter des Tatarenhäuptlings, Yisui und Yisugen zur Frau nahm, hatten die männlichen Tataren keinen Anspruch auf Gnade. Jeder, der die Größe eines Karrenrades überstieg, wurde geköpft. So auch der Ehemann  Yisuis, der sich unter die feiernden Anhänger des Khans gemischt hatte. Der Khan befahl allen, sich ihrem Volke zuzuordnen. Daraufhin blieb nur der junge Tatar alleine stehen. Temudschin betrachtete diesen als Spion und Räuber und ließ ihn sogleich im Angesicht seiner neuen Frau Yisui, welche vorher dem jungen Tatar gehört hatte, köpfen.
Temudschin war mittlerweile 40 Jahre alt, aber immer noch in einer Art Vasallenstellung zu dem Wang-Khan Togrul von den Kereit (zumindest offiziell). Um auch in dessen Lager Ansprüche geltend machen zu können oder aber auch um die bisher erfolgreiche Verbindung zu festigen, trug Temudschin Togrul eine Hochzeit an: Sein ältester Sohn Dschotschi sollte Togruls älteste Tochter heiraten. Dagegen opponierte Togruls ältester Sohn Sanggum allerdings heftig. Der junge Mann, der wohl weniger talentiert als unbeherrscht war, fühlte sich von den Avancen Dschingis Khans bedroht, denn bisher war sein Vater von dem jungen Mongolen durchaus eingenommen gewesen. Nun konnte er endlich Zwietracht sähen, indem er seinem Vater, vielleicht nicht ganz zu unrecht, einflüsterte, daß Temudschin nur an Einfluß im Lager der Kereit gewinnen wollte. Allerdings wäre dieser Einfluß über eine Tochter des Kereiten-Herrschers  wohl nicht allzu groß gewesen.
Dschammucha war immer vor Ort, wenn es gegen seinen Anda Temudschin ging und in Sanggum, der wohl seine Felle wegschwimmen sah, fand er einen dankbaren Verbündeten. Gemeinsam brachten sie den alten Togrul, welcher seinen Thron übrigens durch Brudermord erhalten hatte, dazu, mit seinem Schutzbefohlenen zu brechen. Als dieser Entschluß erst einmal gefaßt war, handelten die Kereit schnell und geschickt. Dschingis Khan rechnete nicht mit einem Überfall seines Schutzpatrons und wurde nur durch zwei Schäfer von seinem drohenden Einfall gewarnt. Die Mongolen mußten wochenlang vor den Kereit fliehen – als sie zum Gegenschlag ausholten, mußten sich diese als sichere Sieger gefühlt haben, da die Mongolen mittlerweile in die Sümpfe geflohen waren. Zu allem Übel hatten die Kereit Khassars Verbände aufgespürt und vernichtend geschlagen. Als der verwundete Bruder bei Temudschin eintraf, wußte dieser, daß er nur mit einer List würde siegen können.
Togrul erhielt eine Nachricht Khassars, welcher seinen Übertritt anbot, da er angeblich vom Kriege die Nase voll hatte. Die Kereit organisierten eine Siegesfeier, auf welcher sie die Kapitulation des Bruders Temudschins entgegenehmen wollten. Der zur Siegesfeier allerdings nicht persönlich eingeladene Temudschin erschien jedoch als Überraschungsgast, seine Armee im Gefolge – und schlachtete die betrunkenen Kereit gnadenlos ab. Angeblich dauerte die Schlacht drei Tage, wahrscheinlich waren es nur drei Stunden. Khassar war übrigens im Lager Temudschins geblieben, damit er sein Wort nicht brechen mußte (was er aber irgendwie doch getan hatte).
Togrul, Sanggum und Dschammucha entkamen, aber ihre Macht war gebrochen. Togrul wurde im Stammesgebiet der Naimanen erschlagen, sein Sohn fand bei den Uiguren den Tod. Der siegreiche Temudschin aber nahm das kereitische Reich in Besitz und gliederte die Besiegten in sein Ulus ein. Dschotschi wird wohl seine Kereit-Prinzessin erhalten haben, ebenso wie auch Tolui, der jüngste Sohn des Khans und Bürtes. Diese Frauen würden nach dem Tode Dschingis Khans viel Einfluß im mongolischen Lager ausüben und die Erbfolge unter den Enkeln des Khans bestimmen.
Temudschin dominierte nun die östliche Mongolei – ihm fehlte der Westen, besiedelt von den kultivierten Naiman, welche schon eine Schrift besaßen. Diese hatten die Führung ihres alten Königs Inancha-Bilge verloren, welcher an Talentierung wohl durchaus mit Temudschin hätte standhalten können. Sein Sohn allerdings war nicht viel mehr als ein Narr. Obwohl seine Königin Gurbesu vor einem Krieg mit den angeblich stinkenden Mongolen (hatte sie Angst vor ihnen?) warnte, ließ er sich von dem zu ihm geflohenen Dschammucha zu einem Krieg überreden.
Während die Mongolen den Naiman-Herrscher (Tajang) foppten, indem sie Strohpuppen und falsche Feuer entzündeten, um ihn über die Größe ihres Heeres zu täuschen, griffen sie die im Rückzug befindlichen Truppen des Tajangs an – dieser hatte sich zuvor von seinen Generälen seine Feigheit vorwerfen lassen müssen. Im Sommer des Jahres 1204 vernichtete Temudschin die Macht der Naiman im Vorgebirge des Altai und nahm schließlich Besitz von dem naimanischen Reich, Gurbesu („Nun, wenn die Mongolen stinken, warum kommst du nun mit mir?“) und – vielleicht am wichtigsten – vom uigurischen Reichskanzler Tatatonga. Dieser überzeugte den Khan von der wichtigkeit der Schrift, Philosophie und einer Verfassung. Temudschin nahm den seltsamen Mann in seine Dienste auf, wies ihn an seine Söhne im Lesen und Schreiben zu unterrichten und ebenso eine Verfassung niederzuschreiben, die Jassa.
Die mongolische Geschichtsschreibung behauptet übrigens, Dschammucha habe mit seinen Bemerkungen dem Tajang gegenüber die Schlacht erzwungen und daraufhin Temudschin über die Pläne des Tajangs informiert. Ob dies ein letzter Dienst an seinen Anda war, dessen Stern nun immer heller leuchtete?
Zurück zu den aktuellen Ereignissen: noch im Herbst rechnete Temudschin mit den verbliebenen Merkiten ab. Dschammucha wurde von seinem eigenen Stamm Dschardschat verjagt und schließlich von den eigenen Fluchtgefährten in das UIus Temudschins geführt. Dieser behandelte die Verräter, wie er es immer zu tun pflegte: sie wurden im Angesicht Dschammuchas enthauptet.
Diesem gegenüber verhielt Temudschin äußerst sentimental. Er soll ihm sogar angeboten haben, wieder an seiner Seite als sein Anda zu reiten, denn angeblich hatte er die Freundschaft von früher nicht vergessen. Dschammucha aber war von seinem Anda einmal zu oft gedemütigt worden, und da er diesem in Talent und Würde nicht nachstand (außer was Diplomatie betrifft) bestand er auf seine Hinrichtung. Seine letzten Bitten wurden ihm jedoch gewährt: Er wurde erdrosselt (also nicht enthauptet) und königlich beigesetzt.
Im Frühling 1206 kamen alle Häuptlinge der mongolischen Steppe am Onon zusammen, denn hierher hatte Temudschin seinen Reichstag einberufen. Auf dem folgenden Kuriltai gab es natürlich nur einen Kandidaten: Dschingis Khan wurde zum Herrscher aller Steppenkrieger und Völker ausgerufen.