November 21, 2024

2. Wer war Alexander?

Die Beantwortung dieser Frage faellt heute natuerlich schwer, da die Zeit Alexanders des Grossen nunmehr ueber 2000 Jahre zurueckliegt. Die Frage: „Wie „Gross“ war er wirklich?„, ist zumindestens ein wenig leichter zu beantworten und jeder muss sich selbst aus dem Lebensweg Alexanders ein Bild seiner Persoenlichkeit machen.


Alexander. Was fuer ein Mann war er?

Beginnen wir mit der Frage :“Wie Gross waren seine Leistungen, Reformen und Errungenschaften? „. Ausser Zweifel steht, daß es dem makedonische Heer unter offizieller Fuehrung Alexanders in Rekordzeit gelang, das gewaltige und uebermaechtige Persische Grossreich nicht nur zu besiegen, sondern zu unterwerfen. Alexander stuetzte sich in seiner Armee vor allem auf die makedonischen Kerntruppen, denn die ueblichen Soeldner haette er sich zu Beginn seiner Feldzuege 336/334 gar nicht leisten koennen, da er nach dem Tod seines Vaters mit Erschrecken feststellen musste, dass die makedonische Staatskasse nahezu leer war. Die Griechen befanden sich im Aufstand gegen ihn, weshalb er den Luxus griechischer Hilfstruppen mit Vorsicht genoss. Auch nach der Niederschlagung des Aufstandes mit der Zerstoerung Thebens (335), traute er griechischen Verbuendeten nicht, was er beispielsweise mit der Aufloesung der jonischen Flotte (333) bewies. Dies brachte ihm erhebliche Nachteile, da die persische Flotte nun frei operierte und Mytilene und Chios zurueckeroberte. Allerdings wurde er die unangenehmen griechischen Verbuendeten los und musste nicht laenger fuer sie aufkommen. Seine Phalanxen und Hetairenreiterei waren allerdings die beste Armee des gesamten Mittelmeerbereichs, und das ausgerechnet die Truppen aus dem sumpfigen, primitiven und zurueckgebliebenen Makedonien diesen Standard erreicht hatten, verdankte Alexander vor allem seinem Vater Phillip II. von Makedonien. Dieser hatte in einer Heeresreform seine Armeen 359 reorganisiert und sich Griechenland Stueck fuer Stueck unterworfen. Dabei hatte er die unkultivierten Bereiche Griechenlands im offenen Kampf niedergerungen, waehrend er den bisher fuehrenden Griechenstaedten Sparta, Athen, Theben mit geschickter Diplomatie die Macht aus den Haenden rang. Nur ein einziges Mal musste er gegen sie kaempfen und sie besiegen: in der Schlacht von Charoneia, in der Alexander die Reiterei fuehrte. Auch der Angriff auf Persien war nicht Alexanders Idee gewesen, sondern Phillips. 337 hatte er dafuer gesorgt, dass die unterworfenen Griechenstaedte im korinthischen Bund ihn damit beauftragten, einen Rachefeldzug gegen Persien zu fuehren. Es sollte der Brand der Akropolis aus dem Jahre 480 gesuehnt werden und die jonischen Staedte befreit werden. Vor Erfuellung dieses Auftrages wurde er von Pausanias ermordet. Phillip hat Alexanders Ruhmeszug den Weg geebnet und muss derart beeindruckend gewesen sein, dass Alexander gefragt haben soll, was sein Vater fuer ihn Grosses zu tun uebrig lassen wuerde.

Nach seiner Ermordung zog Alexander mit unerwarteter Geschwindigkeit gegen die aufstaendigen Barbarenstaemme und bewies zum ersten Mal sein grosses Organisationstalent. Die Beweglichkeit und Schlagkraft seiner Truppen verdankte er aber Phillips Reformen. Ausserdem war er nicht allein fuer den perfekten Ablauf des Feldzuges verantwortlich, sondern wurde unterstuetzt von seinen Hetairen, den wohl talentiertesten Unterfuehrern die ein Feldherr jemals besessen hat, und Parmenion, der schon unter Phillip General gewesen war. Insgesamt kann man festhalten, daß Alexander seine militaerischen Erfolge vor allem deshalb erringen konnte, weil sein Vater ihm die beste Armee der damaligen Welt hinterliess, und ein makedonisches Herrschaftsgebiet, so gross wie es noch nie gewesen war.

Warum konnte Alexander Persien so leicht ueberollen? Wie war es ihm moeglich, diesen gewaltigen Vielvoelkerstaat in nur drei Jahren und drei Schlachten derartig vernichtend zu ueberwinden? Wie konnte er, der Herr ueber das vergleichsweise winzige Griechenland, und er, der sich fast vollstaendig auf die Reserven des geradezu winzigen Makedoniens stuetzen musste, als Sieger hervorgehen? Sieger ueber ein persisches Reich, dem es allein von seinen Bevoelkerung und wirtschaftlichen Ressourcen nicht haette schwerfallen sollen, Alexanders Heeresmacht ein zehnfaches seiner Staerke entgegenzustellen und sogar mehr als ein hundertfaches an Waffenfaehigen zur Verfuegung stand. Grosstat Alexanders? Die Leistung eines militaerischen Genies?
Man muss wissen, dass die Zeit der persischen Grosskoenige vorbei war. Das persische Reich, dass einst die grausamen Assyrer beerbte, hatte seinen Zenith ueberschritten. Vorbei war die Zeit der grossen und maechtigen Koenige, die zum Beispiel noch 492 Thrakien und Makedonien unterworfen hatten, und zur Heeresfolge gezwungen hatten. Oder des Koenig Xerxes, der mit 100000 Mann sengend durch Griechenland zog, Attika verwuestete, Athen eroberte und die Akropolis anzuendete (480).Erst unter Aufbietung aller griechischen Mittel konnte er zurueckgeworfen werden. Seit dieser Zeit hatten sich die Grosskoenige darauf beschraenkt, die zerstrittenen Griechenstaedte Athen, Sparta, Korinth und Theben gegeneinander auszuspielen und so ihr eigenes Herrschaftsgebiet zu behaupten. Schliesslich waren die beiden fuehrenden Hegemonialstaedte Athen und Sparta dermassen ausgelaugt, dass sich kurzzeitig Theben, und dann Makedonien zur Hegemonialmacht aufschwingen konnte.
Dareios III., Grosskoenig von Persien, stand in der traurigen Tradition dieser kontinuierlich schwaecher werdenden persischen Herrscher und sollte das Ende des persischen Reiches herbeifuehren. Auf die makedonische Bedrohung reagierte der Grosskoenig langsam und phlegmatisch. Schon 336 war Parmenion mit einem Teilheer in Kleinasien eingebrochen. Dort, wie auch zwei Jahre spaeter, als Alexander den Hellespont ueberschritt, ueberliess Dareios seinen Satrapen (=Gouvaneure der einzelnen Satrapien = Provinzen) die Abwehr der Gefahr.
Hatten die Satrapen Parmenion eher schlecht als recht abwehren koennen, so unterlagen sie Alexander eher aus Dummheit, als aufgrund des militaerischen Genius des Makedonen. Die persischen Satrapen unter Mithradates, ein Schwiegersohn Dareios, trafen im Mai 334 am Fluesschen Granikos auf Alexander. Anstatt aber die erfahrenen griechischen Soeldner unter Memnon in die erste Reihe zu stellen, was die militaerische Etikette verbot, stellte sich die persische Adeligenreiterei in vordertster Front auf, im vollsten Vertrauen auf ihre Unbesiegbarkeit. Militaerisch gesehen primitiv, stuerzte sich Alexander, an der Spitze seiner Hetairen, auf die persischen Anfuehrer. In einem brutalen Scharmuetzel toeteten er und seine Freunde die meisten Perser. Die nun fuehrerlose Armee konnte leicht besiegt werden. An den griechischen Soeldnern liess Alexander ein Exempel statuieren und sie auf dem Schlachtfeld niedermetzeln. Er tat dies, um den mit ihm kaempfenden Griechen zu demonstrieren, was mit denjenigen geschah, die aus Griechenland stammten, und es wagten, gegen ihn anzutreten. Er selbst aber setzte bei dem stuermischen Angriff nicht nur sein Leben aufs Spiel, sondern mit seiner Person sicherlich auch den gesamten Persienfeldzug. Ohne ihn, einen Koenig mit starker Hand, waeren die Griechen sicherlich von Makedoniens Hegemonie abgefallen und wieder waere es zu erbaermlichen Buergerkriegen gekommen.
Als Ergebnis der Schlacht konnte Alexander die Satrapien Karien, Phrygien und Kilikien erobern. Er „befreite“ die kleinasiatischen Kuestenstaedte, die zwar von Griechen gegruendet worden waren, sich aber inzwischen an die sanfte persische Herrschaft gewoehnt hatten. Widerwillig oeffneten sie dem „Befreier“ die Tore und Halikarnassos musste sogar belagert werden.
In Gordion loeste Alexander den beruehmten Knoten. Wir wissen nicht, ob er den Knoten wirklich mit dem Schwert loeste, wie sein Biograph Kallisthenes berichtet, oder ob er einfach den Anhaenger des Wagens, der mit dem Knoten verbunden war, abkuppelte. Dem, der den Knoten loeste, war eine erfolgreiche Eroberung Persiens versprochen worden, und Alexander erfuellte die Prophezeiung auf jeden Fall auf eine unorthodoxe Art und Weise, die nicht im Sinne des Erfinders gewesen war. Dennoch wurde sein symbolischer Akt bei seinen Maennern gut aufgenommen und schenkte ihnen erneutes Vertrauen in ihren Koenig, der sich hier, wie auch bei seinem Zug in die Siwa-Oase, als geschickter Psychologe erwies.
Nun endlich handelte Dareios. Er stellte ein Heer auf, um den makedonischen Abenteurern entgegenzuziehen. Entgegen den Angaben Kallisthenes, Neffe Aristoteles und Biograph Alexanders, auf die sich auch G. Droysen beruft, hat sich den Makedonen wohl kaum ein Heer entgegengestellt, in dem sich mehr als 50000 Mann befanden. Zwar haette Dareios sicherlich ein Heer mit 500000 Mann zusammenstellen koennen, aber die Perser hatten laengst den Ueberblick und die Kontrolle ueber ihre Satrapien verloren. Das Heer aufzustellen war muehsam und die Heeresfolge der Provinzen wurde nicht eingehalten. Dareios war eben ein schwacher Koenig, und laengst kein solches Organisationstalent wie Alexander.
Als er bei Issos auf Alexander traf, muss er dessen 40000 Mann dennoch ueberlegen gewesen sein. Erneut griff Alexander persoenlich in die Schlacht ein, und fuehrte seine Hetairen gegen Dareios und seine Leibwache. Auge in Auge mit dem tollkuehnen makedonischen Prinzen ergriff der Grosskoenig die Flucht, obwohl die Schlacht fuer die Perser zu diesem Zeitpunkt noch keineswegs verloren gewesen war: die Fusstruppen waren dem Sieg gegen Parmenions Fusstruppen sogar naeher, als der Niederlage! Ihres Fuehrers beraubt, zerbrach die persische Angriffsmacht allerdings. Alexander hatte also kein militaerisches Kunststueck vollbracht, sondern einfach im Duell seines und Dareios Willen gesiegt. Als Preis holte er sich Syrien und Aegypten. Bei der Belagerung von Tyros, die sieben Monate andauerte, bewies Alexander einen weiteren seiner Wesenszuege, die entscheidend fuer seine Erfolge waren. Erneut waren es sein Wille und vor allem sein Durchhaltevermoegen, welches ihm den erfolgreichen Abschluss der Belagerung einbrachte.
Waehrend jener Belagerung erhielt Alexander ein Friedensangebot Dareios. Der verschreckte Grosskoenig bot dem griechischen Hegemon Kleinasien, Syrien und Aegypten fuer den Frieden an. Alexander lehnte ab.
Was waere die weisere Entscheidung gewesen? Wenn man Alexanders spaeteren Erfolge vordergruendig betrachtet, koennte man der Auffassung sein, das er recht daran tat, Dareios Angebot abzulehnen. Blickt man aber tiefer, so koennte man behaupten, dass gerade seine Eroberung Persiens bis Indien Makedonien und Griechenland dem Niedergang auslieferte. Keinem seiner Nachfolger gelang es, das gewaltige Reich zu bewahren. Es fiel auseinander und wurde in den blutigen Diadochenkriegen auseinandergerissen. Ueberhaupt scheint die voellige Vernichtung des persischen Konkurrenten sich negativ auf die Griechenstaedte ausgewirkt zu haben. Solange sie staendig von dem uebermaechtigen Gegner bedroht wurden, waren sie eine Wiege fuer Kultur, Erfindung und militaerischer Disziplin gewesen. Danach aber verwahrlosten ihre Meriten, die griechische Macht zerfiel, bis sie schliesslich von den Roemern beerbt wurden. Vielleicht haette Alexander besser daran getan, das Eroberte, was ja schon mehr war, als man sich erhofft hatte, unter dem Schutz eines Friedensvertrages zu sichern. Er haette die Verhaeltnisse klaeren koennen und fuer geeignete Anfuehrer und schiesslich auch Nachfolger sorgen koennen. So aber war das Grossreich allein auf ihn zugeschnitten und bei seinem Tod hinterliess er nur einen einjaehrigen Sohn. Sein Reich zerbrach.
Interessant ist die Frage, was Phillip, Alexanders Vater, getan haette. Dieser hatte oft bewiesen, welch geschickter Politiker und Diplomat er war, vor allem wenn man bedenkt, dass sein groesster Gegner in Athen der Demosthenes war, das Rednertalent seiner Zeit. Dennoch setzte sich der makedonische Koenig durch. Vielleicht haette er es auch verstanden, durch Begrenzung seines Eroberungswillens das Erreichte auf lange Zeit zu bewahren. Allerdings wissen wir nicht, ob Alexander nicht doch vorausschauend handelte, falls er damit rechnen musste, dass Dareios nur Zeit gewinnen wollte, um ein gewaltiges Grossheer aufzustellen, womit er die dreisten Eroberer aus seinem Reich haette fegen wollen. Ob man dem schwaechlichen Dareios, der von seinem Hofeunuchen Bagoas geleitet wurde, wirklich solch weitragende Winkeldiplomatie nachsagen kann, ist fraglich.
Wenn wir Alexanders veraechtliche Antwort an Dareios als Hochmut auslegen, so stellt er uns diesen Hochmut kurze Zeit spaeter deutlich unter Beweis. In Aegypten (331) hoerte er von Antipatros Niederwerfung der spartanischen Aufstandsbewegung, hatte aber fuer dessen grossen Sieg bei Megalopolis nur den Ausdruck „Maeusekrieg“ uebrig. Dieser Sieg des Antipatros, der im uebrigen ausserordentlich umsichtig in Makedonien und Griechenland herrschte, obwohl die Olympias, Alexanders Mutter, in staendiger Opposition zu ihm stand, war eine grossartige Leistung. Anders als Alexander vor Issos, traten gegen ihn disziplinierte spartanische Elitetruppen an. Er besiegte sie und sicherte Alexander Rueckhalt und Nachschub aus Hellas. Jedwede weitere Aufstandsbewegung, die unweigerlich zu einem Abbruch des Persienfeldzuges gefuehrt haette, wurde unterbunden.
Vorher war Alexander in Aegypten zur abgelegenen Siwa-Oase gezogen, um dort das Zeus-Ammon Heiligtum zu besuchen. Die Priester des Tempels begruessten ihn als „Gottes Sohn“, als der er im Folgenden galt.
Glaubte Alexander wirklich an seine Goettlichkeit? Es darf bezweifelt werden. Wahrscheinlicher ist, dass er sich, wie so viele Machtpolitiker seiner und jeder Zeit, die Goetter zunutze machte, um seine Soldaten gefuegiger zu machen. Hierbei muss er vor allem an die Griechen und ihre Heimatstaedte gedacht haben, die dem makedonischen Emporkoemmling immer noch nur unwillig folgten. Wie aber haetten sie dem Sohn ihres eigenen Gottes die Gefolgschaft versagen koennen?
Im Herbst/Winter 331 zog Alexander nach Persien und ueberschritt den Tigris. Dort traf er auf Dareios neu zusammengestelltes Grossheer, groesser als bei Issos, kleiner als aeltere Quellen angeben. Obwohl die Ebene von Gaugamela ideal fuer die persischen Truppen ausgewaehlt war, siegte Alexander, der die Entscheidung erneut durch ein direktes Duell mit Dareios herbeifuehrte. Durch die perfekte Anwendung der „schiefen Schlachtordnung“, die die gegnerischen Verbaende auseinanderzog, wurde vermieden, dass die Perser ihre gewaltige zahlenmaessige Ueberlegenheit ausspielen konnten. Parmenion, wieder der Niederlage gegen die Uebermacht nahe, gelang es, sein Heer zusammenzuhalten, bis Alexander Dareios in die Flucht geschlagen hatte. Ohne Gegenwehr konnte Alexander dann Babylon und Susa nehmen. Militaerisch hat Alexander in dieser Schlacht ein nahezu unmoeglichen Sieg vollbracht und erwies sich erneut als willensstaerker und zaeher als der weiche Dareios.


Dareios, der Grosskoenig von Persien. Man kann die Furcht in seinen Augen erkennen.

Parmenion, erster General Alexanders. Bleiben wir bei ihm und leiten ueber in die Frage, was fuer ein Mensch Alexander war. Paremnion muss zum Zeitpunkt der Schlacht von Gaugamela ein alter Mann gewesen sein, sechzig oder siebzig Jahre alt. Er war schon Phillips wichtigster Ratgeber und General gewesen, hatte dessen Reformen mitgetragen und etliche Feldzuege gegen barbarische Griechenstaemme unter Phillip mitgemacht. Er war den makedonischen Soldaten so vertraut, dass sie ihn „Vater des Heeres“ nannten. Ausserdem war er wahrscheinlich der einzige, der es wagen konnte, offen gegen Alexander zu opponieren. Sein Rat war anerkanntermassen voller Weisheit und wurde befolgt. Die makedonischen Soldaten folgten nur dem charismatischen Alexander; doch auch dem Parmenion waeren sie gefolgt, haette er sie gerufen. Parmenions Sohn Philotas schien eine ebenso grosse Karriere unter Alexander zu gelingen. Als einer der Hetairen, die mit ihm zusammen von Aristoteles unterrichtet wurden, stieg er bald zum Anfuehrer der Reitertruppen auf, welche der wichtigste Teil in Alexanders Heer waren. Somit vereinigten Vater und Sohn nun so grosse Macht aufeinander, dass Alexander sie offenbar fuer gefaehrlich hielt. Bei passender Gelegenheit liess er Philotas hinrichten; er hatte ein angebliches Mordkomplott verschwiegen, wurde der Mittaeterschaft beschuldigt und hingerichtet. Gab es fuer diesen Tod noch fadenscheinige Gruende, so muessen wir beim Tode Parmenions von eiskaltem Mord sprechen. Dieser war 329 in Ekbatana zurueckgeblieben, waehrend Alexander auf der Jagd nach dem Moerder Dareios war, dem Bessos, Regionalfuerst im Ost-Iran. Alexander schickte seinen Hetairen Polydamas, begleitet von den drei Unterfeldherren, Kleander, Menidas und Sitalkes zu Parmenion.
Diese geben ihm einen gefaelschten Brief seines Sohnes zu lesen, in welchem Philotas ueber seinen angeblichen Plan zur Ermordung Alexanders schreibt, und erdolchen ihn. Die aufgebrachten Soldaten geben sich schliesslich damit zufrieden, den Leichnam Parmenions ehrenvoll zu begraben, nachdem man sie von seiner Mitschuld am Mordkomplott ueberzeugt.
Der einzige, dessen Protest gegen den bevorstehenden Indienzug erhoert worden waere, und dem die Soldaten vielleicht auch in Heimat gefolgt waeren, war tot.
Ueberhaupt, jener Indienfeldzug: ein Wahnsinn, der unzaehligen Soldaten den Tod bringen sollte und etliche Hetairen nicht zurueckkehren liess. Was trieb Alexander dazu, in jenes ferne, mystische Reich einzufallen? Von welchem treibenden Wahn muss er besessen gewesen sein, um ueber die Grenzen der bekannten Welt hinauszugreifen?

Mit der Nierderschlagung des von Bessos gefuehrten Aufstandes gegen Alexander und der Unterwerfung der Satrapien Areia, Drangiane und Arachosien hatte Alexander, siebenundzwanzigjaehrig, ein Gebiet erobert, was die heutigen Laender Griechenland, Tuerkei, Syrien, Libanon, Israel, Jordanien, Aegypten, Iran, Irak, Kasachstan und Afghanistan einschliessen wuerde. Er hatte die damaligen Gebiete Griechenlands, Makedoniens, Mysien, Phrygien, Karien, Lykien, Pisidien, Bithynien, Kappadokien, Kilikien, Kataionien, Syrien, Aegypten, Medien, Mesepotamien, Armenien, Parthien, Karmanien, Drangiane und Archosien unterworfen. Es war ein Reich von unfassbarer Groesse, welches an die Grenzen der bekannten Welt stiess. Persien war voellig besiegt und gehorchte nur noch Alexander, der als Grosskoenig ausgerufen wurde. Der Brand der Akropolis wurde durch den Brand Persepolis geraecht, womit der Rachefeldzug gegen Persien, der eigentliche Grund zum Krieg gegen Dareios, beendigt war. Dennoch hatte Alexander noch nicht genug; etwas in ihm muss ihn immer weiter getrieben haben und ebenso wie er an die Grenzen der Welt vorstossen wollte, schien er seine eigenen Grenzen erproben zu wollen. Er und sein Hofstaat uebernahmen mehr und mehr persische Sitten und beinahe jeder Abend sah ein gewaltiges Saufgelage in Alexanders Koenigszelt. Er und seine Hetairen gaben sich hemmungslos dem Alkohol und etlichen anderen Ausschweifungen hin. Es scheint, als habe Irrsinn Alexander, und alle um ihn herum, befallen, ein Irrsinn der auch seinen Soldaten vielgestaltigen Tod brachte. Sie starben beispielsweise bei dem Einfall in die Sogdiane und Baktrien, deren Einwohner versuchten, Alexanders Armee mit Guerillataktik abzuwehren. Dies gelang ihnen monatelang recht gut, bis Alexander seine Armee reformierte, kleinere und bewegliche Einheiten aufstellte und die moerderischen Reiternomaden, die Skythen, bezwingen konnte. Wo ein anderer fernab von der Heimat aufgegeben haette, obsiegte Alexander gegen alle Widerstaende und heiratete die baktrische Fuerstenprinzessin Roxane, die zu diesem Zeitpunkt erst dreizehn war. Er zog in Samarkand ein, 1500 Jahre bevor Dschingis Kahn dort sein Weltreich begruenden sollte. Alexanders Vorgehen rief bei seinen Soldaten grossen Unwillen hervor, vor allem der Versuch, die Proskynese, ein persisches Hofzeremoniell mit Fussfall, einzufuehren, stiess auf Unwillen bei den makedonischen Adeligen, wie ueberhaupt Alexanders Wille zur absoluten Macht. Nachdem er einen jungen makedonischen Adeligen, Hermalaos, auspeitschen liess, da ihm dieser bei der Jagd einen praechtigen Eber vor der Nase weggeschnappt hatte, plante der junge Mann mit wenigen Verschworenen die Ermordung Alexanders („Pagenverschwoerung“). Das Komplott wurde entdeckt und Hermelaos hingerichtet. Doch Alexanders Blutspur zog sich weiter: auch Kallisthenes, Lehrer der jungen Verschworenen, wurde hingerichtet. Das Verhaeltnis zwischen Alexander und seinem Biographen, Neffe des beruehmten Aristoteles, war schon laenger abgekuehlt, und nachdem die Einfuehrung der Proskynese vor allem an Kallisthenes offenen Widerstand gescheitert war, fiel er vor allem durch negative Berichterstattung auf. Also liess Alexander, der noch immer in regem Briefkontakt zu Aristoteles stand, Kallisthenes hinrichten. Dass er an der „Pagenverschwoerung“ beteiligt war, darf bezweifelt werden.

Ebenfalls 327 toetete Alexander im Suff seinen Freund und Hetairen Kleitos, der ihm bei einer Orgie oeffentlich widersprochen hatte. Kleitos war nach dem Tod des Philotas zu einem bedeutenden und maechtigen Reitergeneral aufgestiegen, weshalb es Mancher bezweifelt, dass Alexander, immer darauf bedacht seine absolute Macht zu erhalten, sonderlich besoffen gewesen war.
Alexander zog weiter in Richtung Indien, ueberschritt den Indus bis er zum Hydaspes kam. Irgendetwas in ihm sehnte sich nach der Unendlichkeit, nach der Bewaeltigung des Unmoeglichen, nach dem Ende und Anfang von allem. Ab wann Alexander so geworden ist, koennen wir nur erraten. Hat Aristoteles ihm diesen Wesenzug eingepflanzt? Oder war es seine unglueckliche Kindheit? Oder erst nach der Eroberung Persiens, als er die Unermesslichkeit dieses Reiches feststellte? Seine Soldaten konnten seine Wuensche und Traeume jedoch nicht teilen, starben sie doch Reihenweise an den Giftschlangen und toedlichen Insekten des unbekannten und unheimlichen indischen Dschungels, an neuartigen Seuchen, an Malaria und Sumpffieber. Alexander traf auf den indischen Fuersten Poros am Hydaspes (326), den er durch sein rasches und unerwartetes Handeln (Flussuebergang) schlagen konnte, vielleicht seine groesste militaerische Leistung. Noch weiter wollte er ziehen, doch seine Soldaten hatten genug; sie meuterten und zwangen Alexander zum Indus zurueckzukehren. Dass sie ueberhaupt weiterhin unter seinem Kommando blieben, spricht fuer Alexander.

Der Makedone unterwarf etliche Voelker am Indus. Seine Truppen folgten ihm nur noch unwillig. So drang er zum Beispiel voellig alleine in die Festung der Maller ein und erst als er von einem Pfeil schwer verwundet wurde, griffen seine Soldaten an.
Er beendete den Indienzug mit dem wahnsinnigen Rueckmarsch durch die gedrosische Wueste. Warum beging er diese militaerische und organisatorische Dummheit, der tausende zum Opfer fielen? Vielleicht wollte er seine aufruehrerischen Truppen einen Denkzettel verpassen? Vielleicht wollte er wieder jedermann beweisen, dass er das Unmoegliche moeglich machen konnte? Um das Leben seiner Veteranen hat er sich aber offensichtlich ebensowenig wie im indischen Dschungel gescherrt.

324 kehrte Alexander nach Susa zurueck und raechte sich fuerchterlich an den Satrapen, die er eingesetzt hatte, und die ihn fuer Tod gehalten und verraten hatten. Sie wurden hingerichtet. Auch konnte er betrachten, was inzwischen die Ausmuenzung des persischen Staaatsschatzes bewirkt hatte. Bei der Uebergabe Babylons 331 hatte man die unvorstellbare Menge von 50000 Talenten in Gold ausgeliefert bekommen.

Eine Muenze, die das Profil Alexanders zeigt.

Alexander, der ebenso generoes wie grausam sein konnte, beschenkte seine Soldaten so reichlich, dass sie zu wohlhabenden Maennern wurden und diejenigen, die zu diesem Zeitpunkt in die Heimat zurueckkehrten, waren gemachte Maenner. Auch Familienangehoerige gefallener Krieger wurden reich entlohnt. Das restliche Gold liess er ausmuenzen. Die gewaltige Menge Gold, die er in Umlauf brachte, sorgte fuer eine ebenso gewaltige Inflation. Bestehende Verhaeltnisse in Griechenland loesten sich auf, die Reichen verloren ihre Macht und grosse Verwirrung herrschte. Es darf bezweifelt werden, dass Alexander zum Wohle des Volkes handelte. Eher ist es ihm darum gegangen, die reichen Oligarchen der griechischen Polis zu entmachten, die Verhaeltnisse so zu verunsichern, dass er unumschraenkter Herrscher werden konnte. Ebenso verhielt es sich mit seiner Massnahme, die Verbannten der Griechenstaedte in ihre Heimat zurueckkehren zu lassen. Die Griechenstaedte litten seit Jahrtzehnten unter Bevoelkerungsueberschuss und dadurch ausgeloesten Hungersnoeten. Berufe, Land und Besitz der Verbannten wurde dankbar von anderen angenommen. Nun kehrten diese Verbannten zurueck und die Verhaeltnisse verwirrten sich noch mehr. Ohne Alexanders und Antipatros starke Hand waere Griechenland in Buergerkriegen versunken; sie brauchten Alexander nun.

Wiedereinmal erwies sich Alexander als ruecksichtsloser Machtmensch, der etliche seiner Hetairen auf dem Gewissen hatte. Andere allerdings, die ihm bedingungslos folgten, blieben bis zum Schluss bei ihm, zum Beispiel Ptolomaios oder Krateros. Zurueck in Babylon, verlangte er Antipatros, der derweil in Griechenland wie ein echter Koenig geherrscht hatte, zum Rapport. Dieser hatte von den vielen Todesfaellen um Alexander herum gehoert, und schuetzte eine Krankheit vor, um nicht zu Alexander kommen zu muessen. Anstatt seiner schickte er seinen Sohn Kassandros. Antipatros tat recht daran, wenn ihm die Naehe Alexanders nicht geheuer war. Die Machtfuelle, welche er mittlerweile in Griechenland erreicht hatte, waere fuer Alexander sicherlich Grund genug gewesen, ihn hinrichten zu lassen.

Kurz vor seinem Tod musste Alexander den Tod des Hephaistion hinnehmen, seines besten Freundes und Hetairen. Diesmal hatte er dessen Tod nicht gewaltsam herbeigefuehrt, wohl aber mag Alexanders Lebenswandel und damit der seines Hofstaates daran Schuld gewesen sein. Ausgelaugt von den Kriegszuegen, Verwundungen und dem staendigen Saufen verstarb Hephaistion unerwartet. Schon oefter wurde erwaehnt, dass die beiden vielleicht mehr als nur Freundschaft verband. Wieder duerfen wir, wenn wir an Alexanders Bisexualitaet glauben, nicht unsere heutigen gesellschaftlichen Masstaebe anlegen; Homosexualitaet war zu jener Zeit etwas voellig Normales, Anerkanntes und wurde sogar teilweise erwartet, wenn ein aelterer Mann sich eines juengeren als Lehrmeister annahm. Schon Homers Achilleus und Patroklos lassen auf ein homoerotisches Verhaeltnis schliessen, wie gesagt, durchaus nichts Ungewoehnliches. So wird sich beispielsweise wohl kaum ein Koenigs- oder Fuerstenhof gefunden haben, an dem nicht Lustknaben vorhanden waren. Es war natuerlich kein Zwang zur Bisexualitaet vorhanden, aber sie wurde auch nicht verurteilt.

Alexander trauert einige Tage um seinen „Patroklos“ oder „Enkidu“ (aus der babylonischen Sage von Gilgamesch und Enkidu). Schliesslich erwacht er wieder zu seiner alten Lebhaftigkeit und plant einen neuen gewaltigen Kriegszug. Er will Arabien, Libyien (Afrika) und Karthargo unterwerfen. Ende Mai 323 erkrankt Alexander nach etlichen Saufgelagen. Sein Koerper ist geschwaecht vom Alkohol und Ausschweifungen, von alten Verwundungen und koerperlicher Ausgebranntheit. Er stirbt (an Malaria?) am 13.6.323.

Wenn ein Koenig stirbt, werden natuerlich auch Mordverdaechtigungen laut. In Frage kaeme hierbei sicherlich eine Vergiftung und ein Motiv hatte jeder aus Alexanders Umgebung, die staendig der Gefahr einer Hinrichtung ausgesetzte waren, ebenso wie alle von ihm eingesetzten Satrapen. Vor allem aber auch die Kartharger mussten ein Interesse an Alexanders Tod haben, waren sie doch die Naechsten, auf die Alexanders Eroberungsdrang fallen musste.

Sein Plan zur Voelkerverschmelzung scheiterte. Zum Beispiel verstiessen etliche der 10000 Makedonen, die in Susa an der Massenhochzeit teilgenommen hatten ihre Frauen wieder. Auch die meisten der 89 Adeligen, die geheiratet hatten, taten dies. Alexanders Reich wurde aufgesplittert und zerbrach in den Diadochenkriegen seiner Nachfolger. Die meisten seiner Stadtgruendungen aber ueberlebten und wurden, allen voran das aegyptische Alexandria, zu Zentren der Ausbreitung der griechischen Kultur. So wurde das auf Alexander folgende Jahrhundert zum Zeitalter des „Hellenismus“, kulturelle Vorherrschaft der Griechen, aber militaerischer Niedergang.

Wer war nun Alexander? Mensch oder Monster? Freund oder Untier? Militaergenie oder Glueckspilz? Weiser Herrscher oder moerderischer Tyrann?

Sicherlich koennen wir von ihm sagen, dass er der richtige Mann, am richtigen Ort, zur richtigen Zeit war, zu Fall gebracht von seiner eigenen Trunksucht. Anders verhielt es sich beispielsweise bei dem genialen Feldherrn Hannibal, der der richtige Mann, am falschen Ort, zur falschen Zeit war. Die Roemer waren naemlich im Gegensatz zu den Persern nicht gewillt aufzugeben und hielten zaeh am Widerstand fest, selbst als Hannibal nach dem gewaltigen Sieg von Cannae (216) noch vierzehn Jahre verheerend durch Italien zog. Ausserdem gewaehrte Karthargo seinem Feldherren nicht die gebuehrende Unterstuetzung, wie ueberhaupt die karthargische Aussenpolitik sich ungeschickt und toelpelhaft benahm.
Oder Caesar, der der richtige Mann, am richtige Ort, zur falschen Zeit war. Er machte alles richtig bei der Unterwerfung Galliens und seinem Sieg gegen die Pompeijaner, aber die Angst vor einem Tyrannen war zu tief in den Senatoren verwurzelt, um den nach Alleinherrschaft strebenden Caesar am Leben lassen zu koennen (Ermordung 44 v. Chr.).
Oder auch Hitler, der der falsche Mann (ich bitte um Entschuldigung fuer diese Untertreibung), am richtigen Ort, zur richtigen Zeit war (ich bitte um Entschuldigung fuer diese „Uebersimplifizierung“ der Verhaeltnisse).
Dank der gewaltigen Zeitspanne, die zwischen uns und Alexander liegt, bleibt es jedem selbst ueberlassen, sich ein Urteil ueber Alexander zu bilden.


Christian Ilaender, Maerz/April 1996.


Alexander der Grosse


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