Dritter Aufzug
Erste Szene
(Die Straße vor dem Kapitol, das Kapitol offen.)
Caesar, Brutus, Cassius, Casca, Decius, Metellus, Trebonius, Cinna, Antonius, Lepidus, Artemidorus, Pipilius, Publius, Wahrsager.
CAESAR: Der 15. März ist da.
WAHRSAGER: Ja , Caesar, aber noch nicht vorbei.
ARTEMIDORUS: Heil Dir, Caesar, lies diesen Zettel.
DECIUS: Trebonius bittet Euch, mit eurer guten Muße, diese seine untertänige Bittschrift zu lesen.
ARTEMIDORUS: O Caesar, lies die meinige zuerst; die meinige geht dich eher an; lies sie, großer Caesar.
CAESAR: Was uns selbst angeht, soll am letzten vorgenommen werden.
ARTEMIDORUS: Verschieb es nicht, Caesar, lies es augenblicklich.
CAESAR: Wie, ist der Bursche toll?
PUBLIUS: Aus dem Wege, Schurke…
CASSIUS: Warum drängt ihr euch mit euren Suppliken auf den Strassen zu? Kommt auf das Kapitol…
POPILIUS: (zu Cassius): Ich wünsche, dass Eure heutige Unternehmung wohl vonstatten geht.
CASSIUS: Was für eine Unternehmung, Popilius?
POPILIUS: Gehabt Euch wohl. (ab)
BRUTUS: Was sagte Popilius Laena?
CASSIUS: Er wünschte, dass unsere heutige Unternehmung wohl vonstatten gehe.
BRUTUS: Seht, wie er sich gegen Caesar bezeugt, beobachtet ihn.
CASSIUS: Casca, seid hurtig, denn wir fürchten dass wir zu spät kommen möchten. Brutus, was ist zu tun, wenn wir verraten sind? Cassius oder Caesar sollen diesem Ort nimmer den Rücken wenden; denn, wenn wir unseren Zweck verfehlen, so will ich mich selbst erschlagen.
BRUTUS: Cassius, seid standhaft; Popilius Laena spricht nicht von unserer Sache; seht, er lächelt, und Caesar verändert sich nicht.
CASSIUS: Trebonius weiß, was er zu tun hat; seht ihr, Brutus, wie er den Marcus Antonius auf die Seite zieht.
DECIUS: Wo ist Metellus Cimber? Es ist Zeit, dass er seine Bitte bei Caesar anbringe.
BRUTUS: Er tut es schon. Drängt euch näher hin, und unterstützt ihn.
CINNA: Casca, ihr seid der erste, der die Hand ausstreckt.
CAESAR: Sind wir alle fertig? Was gibt es dann für Beschwerden, die Caesar und sein Senat heben soll?
METELLUS (kniend): Erhabenster und großmächtigster Caesar, Metellus Cimber wirft ein demütiges Herz zu deinen Füßen…
CAESAR: Ich muss dir zuvorkommen, Cimber; dieses niedrige und unterwürfige Bezeugen könnte das Blut gewöhnlicher Menschen rege machen, und mit Bedacht abgefasste Entschlüsse in kindischen Wankelmut verkehren. Seid nicht so töricht, euch einzubilden, dass Caesar ein so rebellisches Blut habe, dass er durch das, was Narren zerschmelzt, sich von seiner natürlichen Beschaffenheit auftauen lass; ich meine, durch das milde Worte, niederträchtige Schmeicheleien und ein verächtliches hündisches Liebkosen. Dein Bruder ist durch Dekret verwiesen; wenn du dich niederwirfst, und schmeichelst, und für ihn bittest, so stoße ich dich wie einen Hund aus meinem Weg. Wisse, Caesar tut kein Unrecht; und er lässt sich nicht ohne hinlängliche Gründe befriedigen.
METELLUS: Ist dann keine würdigere Zunge als die meinige, um mit einer Stimme, die in des großen Caesars Ohr angenehmer tönt, meines Bruders Zurückberufung zu erbitten?
BRUTUS: Ich küsse deine Hand, aber nicht aus Schmeichelei, Caesar, und bitte dich, dem Publius Cimber die freie Wiederkehr in sein Vaterland zu bewilligen.
CASSIUS: Gnade, Caesar, Gnade! Cassius fällt zu deinen Füssen und bittet dich um die Zurückberufung des Publius Cimber.
CAESAR: Ich könnt mich leicht bewegen lassen, wenn ich euresgleichen wäre; wenn ich bitten könnte, um zu bewegen, so könnt ich durch Bitten mich bewegen lassen; aber ich bin standhaft, wie der Polar-Stern, der an beständiger, fester und unbeweglicher Beschaffenheit seinesgleichen nicht am Firmament hat; der Himmel ist mit unzähligen Funken bemalt, sie sind alle Feuer und jeder leuchtet; aber es ist nur einer unter allen, der niemals seinen Stand verändert. Eben so ist es in der Welt, sie ist wohl mit Menschen versehen, und Menschen sind Fleisch und Blut, und den Leidenschaften unterworfen; aber unter allen kenn‘ ich nur einen, der, von äußerlichen Bewegungen unerschüttert, immer den gleichen Stand behauptet; und dass ich der sei, lasst mich eben hierin ein wenig zeigen; weil ich standhaft war, wurde Cimber verwiesen, und weil ich standhaft bin, soll er es bleiben.
CINNA: Oh Caesar!
CAESAR: Hinweg! willst du den Olympus aus seiner Stelle heben?
DECIUS: Grosser Caesar…
CAESAR: Kniet nicht Brutus auch?
CASCA: Meine Hände, sprecht ihr für mich.
(Sie fallen den Caesar an und ermorden ihn.)
CAESAR: Und du auch, Brutus?…So falle, Caesar! (er stirbt)
CINNA: Freiheit, Freiheit! die Tyrannei ist tot! Rennet von hinnen, und ruft es durch die Strassen aus…
CASCA: Einige müssen zu den öffentlichen Richter-Stühlen eilen, und die Wiederherstellung der allgemeinen Freiheit ausrufen.
BRUTUS: Ihr Senatoren und Plebejer, erschreckt nicht, fliehet nicht, bleibet stehen; Die Schuld der Ambition ist bezahlt.
CASSIUS: Geht auf die Tribüne, Brutus.
DECIUS: Und Cassius auch.
BRUTUS: Wo ist Publius?
CINNA: Hier, ganz von diesem Aufruhr betäubt.
METELLUS: Lasst uns geschlossen zusammenstehen, damit nicht einige Freunde das Caesars…
BRUTUS: Redet nicht vom Zusammenstehen, Publius, seid guten Muts, man hat nichts Böses gegen eure Person vor, noch gegen irgend einen anderen Römer; sagt ihnen das.
CASSIUS: Und verlasst uns, Publius, damit nicht etwa der auf uns einstürmende Pöbel sich an eurem Alter vergreife.
BRUTUS: Tut das, und lasst niemanden diese Tat verantworten als wir, die Täter.
Christian Ilaender, Juni 1997.